10 - Monats - Update
Hallo,
dieser Bericht kommt etwas später als sonst. Zum einen war viel los und zum anderen denke ich immer weniger gerne über alles nach, weil mir dann bewusst wird, wie wenig Zeit mir hier nur noch bleibt.
Dennoch habe ich mich jetzt aufgerafft, weil Verdrängen natürlich nichts bringt und ich auch gerne über alles nachdenke und schreibe, um das Geschehene schätzen und verarbeiten zu können.
Vom 18.05. bis 22.05. habe ich mit meiner Freundin Bo eine Reise in den Regenwald unternommen. Dort besuchten wir einen Freund, den ich auf dem Klimawandeltreffen im Februar kennengelernt habe. Er lebt in Sarayaku, einem kleinen Dorf im Amazonas und lud uns zu sich ein, weil zu diesem Zeitpunkt das Fest zum Dank für die "Pachamama" (Mutter Erde/Natur) stattfand.
Nach einer sehr langen Reise (10h Bus + 1,5h Taxi + 2h Kanu) sind wir endlich an unserem Ziel angekommen, wo uns unser Freund Braulio und seine Familie auch schon in Empfang nahmen. Die Tage über lebten wir bei seiner Familie. Das war für uns sehr großes Glück, da wir uns sowohl mit den Eltern als auch mit Großeltern, Tanten, Onkeln und Geschwistern gut verstanden und sie uns viel über ihre Kultur, ihr Leben und sich selbst erzählten.
Bo und ich durften auch gleich am ersten Tag eine handgemachte Schale bemalen. Diese Schalen werden in Sarayaku traditionell aus einem bestimmten Ton hergestellt und mit einer Farbe bemalt, die aus einer Pflanze gewonnen wird.
Der Weg vom Hauptplatz Sarayakus bis zum Haus dauerte etwa 45 Minuten und wir gingen zu Fuß durch den Regenwald. Gummistiefel waren dabei unausweichlich, da wir auch durch einen Fluss waten mussten und die Erde auf den Wegen meistens feucht war. Auch so hatten die meisten Leute fast immer Gummistiefel an, die Mehrheit auch auf dem Fest.
Das Fest der Pachamama fand auf dem Hauptplatz statt und neben Essen, Musik und Tanz gab es auch verschiedene Wettbewerbe und Präsentationen. Neben Bo und mir waren noch etwa zehn andere Touristen für das Fest gekommen.Nach dem Fest genossen Bo und ich noch die Zeit beim Baden im Fluss oder bei Unterhaltungen mit Braulio und seiner Familie. Wir bemalten uns an einem Abend mit einer pflanzlichen Farbe ("Wituk"). Diese Bemalung ist wie ein Tattoo und wird mit dünnen Ästen oder mit Haaren auf die Haut aufgetragen. Sie hält mehrere Wochen und hat für die Menschen von Sarayaku (und auch von anderen Orten im Amazonas-Regenwald) eine wichtige kulturelle und spirituelle Bedeutung und ist als Gesichtsbemalung Teil ihrer Identität als "kichwa-amazónicos".
An unserem letzten Abend waren wir mit Braulio und einigen Freund*innen von ihm unterwegs. Einen Club gibt es in Sarayaku zwar nicht, aber das heißt ja noch lange nicht, dass nicht gefeiert werden kann. Gegen Einbruch der Dunkelheit (etwa gegen 18:30Uhr) gingen wir mit Musikbox los und liefen erst einmal 30 Minuten zum ersten Haus. Dort waren schon andere Leute versammelt und uns wurde "Chicha de Yuca" (fermentiertes Getränk) angeboten. Dann wurde zur Musik getanzt.
Nach einer Weile bedankten wir uns und liefen weiter zum nächsten Haus. Die Gruppe vergrößerte sich immer mehr und wir zogen immer weiter bis wir alle müde waren. Dann ging es unter einem wunderschönen Sternenhimmel wieder zurück zum Haus von Braulio.
Das Tanzen hat viel Spaß gemacht und es ist meiner Meinung nach eine schöne Art von Haus zu Haus zu gehen und in dieser Gemeinschaft zu feiern. Außerdem ist es schön, dass nicht nur junge Leute, sondern alle, die möchten, an den Festen und beim Tanz teilnehmen.
Die Indigenen, die in Sarayaku leben, sprechen alle kichwa. Während hier in Saraguro jede*r Spanisch spricht und nur ein kleiner Teil noch kichwa beherrscht, ist es in Sarayaku andersherum. Jede*r spricht kichwa und besonders Kinder und ältere Menschen können oft nicht oder nur schlecht Spanisch. Das war für uns eine neue Erfahrung als wir merkten, dass die Geschwister oder Verwandten von Braulio beispielsweise auch nicht perfekt Spanisch sprachen. Trotzdem hat man sich aber immer irgendwie verstehen können.
Generell hatte ich vor der Reise großen Respekt, weil ich mir nur sehr schlecht vorstellen konnte, wie das alles wird, wie wir aufgenommen werden oder ob wir in irgendwelche "(kulturellen) Fettnäpfchen" treten. Rückblickend war es aber, glaube ich, die schönste Reise, die ich hier in Ecuador gemacht habe, weil ich so viel gesehen, gelernt und erlebt habe. Die Leute waren so unfassbar lieb zu uns, sodass uns der Abschied nach den nur vier Tagen echt schwer fiel. Auch jetzt, einen Monat später, denke ich noch sehr gerne zurück und ich weiß, dass ich diese Reise nie vergessen werde.
Auch hier in Saraguro war im letzten Monat einiges los.
Ich verbrachte viel Zeit mit meiner Gastfamilie. So waren wir beispielsweise gemeinsam auf der Motocross-Strecke, wo meine drei Gastgeschwister mit viel Leidenschaft und Ehrgeiz trainieren.
Auf dem Bild ist mein Gastbruder Santiago zu sehen.
In meiner Freizeit bin ich weiterhin so oft es geht beim Voley. Dort verstehe ich mich mit einigen gut und es tut gut, diese Wertschätzung und den Zuspruch von den anderen Mitspieler*innen zu bekommen.
An Wochenenden spiele ich immer wieder mal bei Turnieren mit, was auch Spaß macht.
Außerdem verbringe ich immer öfter Zeit bei meiner Nachbarin. Mit ihr habe ich jetzt schon einige Male Kuchen gebacken oder Essen gekocht.
Dieses Wandbild wurde kürzlich an der großen Straße, die durch Saraguro führt, angebracht. Der Schriftzug sagt "Fierro Urku se defiende" (Fierro Urku wird verteidigt). Dabei geht es wieder um das Thema der zerstörerischen Minenindustrie, die den Bereich des "Fierro Urku" für die Extraktion von Bodenschätzen in Beschlag nehmen möchte. Fierro Urku ist ein Hochebene, die als eine der wichtigsten Wasserquellen für den Süden Ecuadors gilt. Ich mag das Wandbild sehr gerne, weil es so eine Stärke und Präsenz ausstrahlt.
Hier in der Schule hat mich letztens die Freiwilligengruppe aus Cuenca besucht, um meinen Arbeitsplatz ein bisschen besser kennenzulernen. Saraguro hat sich mit viel Sonne von der besten Seite gezeigt und auch die Kinder waren offen und motiviert. Ich habe mich sehr gefreut, dass die anderen Freiwilligen mit viel Begeisterung und Interesse dabei waren.
Da einige der österreichischen Freiwilligen schon Ende Juni abreisen oder bereits abgereist sind, hatten wir vor kurzem schon unser Abschlussseminar. Es ist immer schön, Zeit in der Gruppe zu verbringen und die Möglichkeit zum Reflektieren, Verarbeiten und Austauschen zu haben.
Letztens haben wir in der Schule ein letztes Mal in diesem Schuljahr Mais vom schuleigenen Feld geerntet, den wir dann gemahlen und zu Tortillas verarbeitet haben.
Die Schüler*innen hatten am 22.06. bereits ihren letzten Schultag vor den etwa zwei-monatigen Sommerferien. Demnach habe ich mich schon mit einigen Dankesworten, Kuchen, einer Karte und einem Armband für jede*n verabschiedet.
In den nächsten Wochen arbeite ich trotzdem weiterhin in der Schule mit den Lehrer*innen zusammen, die am Besprechen, Koordinieren und Vorbereiten sind.
Danach werde ich noch zwei Wochen in einer anderen Einsatzstelle hier in Saraguro arbeiten und dann bin ich auch schon fast am Ende meiner Zeit hier angelangt, wo mich dann noch ein Freund aus Deutschland und meine Eltern besuchen werden.
Am Ende des Schuljahres fand eines der größten Feste statt, die hier im Jahr gefeiert werden; "Inti Raymi".
Das "Fest der Sonne" findet jedes Jahr im Andenraum zur Sommersonnenwende am 21.Juni statt. Es stellt das Jahresende des andinen Kalenders dar, weshalb sich auch einige an diesem Tag ein frohes neues Jahr wünschten.
In der Zeit des Fests werden jährlich Mais, Bohnen und andere Produkte geerntet, weshalb es auch als Fest der Ernte gilt. Dabei ist allerdings nicht nur die Ernte in Form von Gemüse und Obst, sondern auch die persönliche Ernte gemeint. Das können persönliche Errungenschaften, abgeschlossene Projekte oder andere Erträge sein, die man im letzten Jahr erreicht hat.
In der Schule, die ja auch "Inti Raymi" heißt, feierten wir zwei Tage mit den Kindern und Eltern. Wir organisierten verschiedenste Wettbewerbe, zu denen wir teils auch andere Schulen eingeladen haben. So gab es unter anderem ein Fußballturnier oder Flecht-, Spinn-, und Tanzwettbewerbe.
Natürlich gab es auch reichlich Essen und am zweiten Tag eine lange Zeremonie, bei der die "waruchikuys" geehrt wurden. Das sind die Kinder, die im vergangenen Jahr 7 oder 14 Jahre alt wurden. Diese Nummern haben (genau wie 21) eine besondere Bedeutung in der andinen Kosmovision, weil sie je den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt bedeuten.
Wie auf den Bildern zu sehen ist, war alles schön geschmückt und jede*r war in seiner besten Kleidung.
Auch in der comunidad "Las Lagunas", in der ich hier lebe, wurde das Inti Raymi Fest sehr groß gefeiert. Schon im gesamten Monat Juni gab es immer wieder Programmpunkte und Aktionen, die bereits auf das große Fest am 21. vorbereiteten.
Am 1., 7., 14. und 21. Juni fanden beispielsweise spirituelle Reinigungsbäder statt. An jedem dieser Tage trafen sich die, die teilnehmen wollten, um 4 Uhr morgens an einem bestimmten Ort, wo sich dann mal mit kaltem, mal mit warmem Wasser gewaschen wurde.
Das ganze fand im Rahmen einer Zeremonie statt und hat neben der körperlichen Reinigung vor allem die symbolische, innere Reinigung und Befreiung von allem Negativen zum Zweck.
Für mich sind diese Bäder immer eine sehr schöne Erfahrung. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, wenn alle sich um diese Uhrzeit versammeln. Danach, wenn es langsam hell wird, gibt es für alle noch einen Tee und ein Brötchen. Danach geht jede*r nach Hause, wo dann der normale Arbeitstag beginnt.
Am allerschönsten war das das letzte Reinigungsbad am 21. Juni. Schon am 20. Juni trafen wir uns gegen 23 Uhr auf dem Hauptplatz der Comunidad, wo schon eine Gruppe junger Menschen Musik machte und tanzte. Während bei den ersten drei Bädern stets nur etwa 20 Leute mit eher hohem Altersdurchschnitt teilnahmen, waren beim letzten Mal viel mehr Teilnehmer*innen und vor allem viel mehr junge Menschen dabei. Zusammen zogen wir mit musikalischer Begleitung tanzend los. Ab und zu blieben wir stehen, um, wie es typisch für hier ist, im Kreis zu tanzen. Als wir nach etwa 45 Minuten am Fluss ankamen, machten wir ein Feuer und alle, die wollten, gingen in den Fluss, um sich in einem kleinen Wasserfall zu baden. Für mich war es eine unfassbar schöne Erfahrung und ich habe mich sehr lebendig gefühlt.
Danach wärmten wir uns am Feuer und liefen wieder zurück. In der Comunidad angekommen, ging es weiter mit Musik und Tanz, bis wir gegen vier Uhr wieder zu Hause ankamen, um wenigstens noch ein bisschen vor dem großen Fest zu schlafen.
Am nächsten Morgen schloss ich mich der Prozession der Schule an, die von der Schule bis zum Zentrum ging. Dort fanden sich dann andere Schulen und vielen Menschen ein, um gemeinsam wieder nach "Las Lagunas" zu laufen, wo dann eine weitere Zeremonie stattfand.
Den ganzen Tag über gab es dort Essen, Tanz und andere Programmpunkte.
Zu diesem Fest kamen auch einige Busse mit Touristengruppen, was ich hier von Saraguro gar nicht gewohnt war.
Abends war dann der große "baile" (=Tanz), wo drei Bands auftraten. Wir tanzten den ganzen Abend und die ganze Nacht durch bis wir am nächsten Morgen dann gegen 6:30Uhr wieder zu Hause ankamen. Ich habe es sehr genossen und inzwischen will ich die Musik, die hier bei Festen gespielt wird, auch nicht mehr missen. Der für Saraguro typische Musikrhythmus heißt "chaspishka" und ich lasse euch hier mal einen Link da, falls ihr reinhören wollt. Eine Band, die aufgetreten ist, heißt "Mawkas" und ist die Band meiner Nachbarn. Mit ihnen verstehe ich mich inzwischen echt gut, sodass ich manchmal bei ihnen vorbeischaue, um gemeinsam mit der Tochter zu kochen oder um bei den Proben zuzuhören.
Mit meiner Gastfamilie habe ich inzwischen schon den Witz, dass ich immer sage, dass ich noch drei Monate bleibe, damit es nicht so wenig klingt, obwohl es inzwischen eigentlich nur noch weniger als zwei Monate sind, die mir hier bleiben. Um genau zu sein nur noch ein Monat und 22 Tage. Wow!
Es fällt schwer, daran zu denken, mich hier von der Familie zu verabschieden, die mich teils schon ihre "älteste Tochter", "Schwester" oder "Teil der Familie" nennt.
Auch einige Menschen hier habe ich als Freunde inzwischen lieb gewonnen und es ist seltsam zu wissen, dass man sich bald nicht mehr sehen kann.
Gleichzeitig ist der Gedanke, bald nach Deutschland nach Hause zu kommen auch sehr wohltuend und ich freue mich unfassbar darauf, alle Leute in den Arm zu nehmen und alles von früher Gewohnte vielleicht auch nun aus einer etwas anderen Perspektive zu sehen.
Fühlt euch alle gedrückt und bis schon sehr bald!!
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