An(ge)kommen
Saraguro ist eine Kleinstadt, die in den südlichen
ecuadorianischen Anden auf einer Höhe von etwa 2800 Metern liegt. Im Bereich
der Stadt Saraguro leben rund 10.000 Menschen. Zum Kanton Saraguro gehören aber rund 30.000 Menschen, die hier im Umkreis leben.
Die Bevölkerung besteht zum einen aus Menschen indigener Abstammung und zum anderen aus Mestizen
(Nachfahren von europäischer und indigener Bevölkerung). Kultur und Tradition
spielen hier eine große Rolle. Die Saraguros haben eine typische Tracht, feiern
verschiedenste Feste und viele Menschen sprechen die indigene
Sprache „Kichwa", die auch in anderen Teilen Lateinamerikas gesprochen wird.
links: Wohnhaus rechts: Werkstatt meines Gastvaters |
Gegen Mittag kam ich bei meiner Gastfamilie an.
Unser Haus ist etwa 15 Minuten zu Fuß vom Zentrum
Saraguros entfernt und wir wohnen hier recht ländlich mit Hühnern, Hunden und
Katzen.
Meine Gastfamilie besteht aus den Eltern Luisa und Alfonso und aus meinen Gastgeschwistern "Junior" (24), Andrés (17), Santiago (14) und Sammy (11).
Gleich am ersten Tag ging es nach den herzlichen Willkommensworten jedes
Familienmitglieds mit dem Auto ins Stadtzentrum, wo wir auf dem Markt
köstliche Empanadas mit Käse und frischen Saft zu uns genommen haben. Danach fuhren wir zu einem Grundstück der Familie, das etwa zehn Minuten entfernt ist.
Auf diesem Stück Land hat die Familie vier Kühe, vier Pferde und einige
Schweine, Hühner und Meerschweinchen. Auf dem Weg dahin saß ich mit meinen
Gastgeschwistern auf der Ladefläche unseres Pick-Ups. Das war ein tolles
Gefühl und ich konnte die Landschaft hier bewundern.
Sammy mit Fohlen "Rumi" |
Was mich sehr gefreut hat, war, dass ich mich direkt gut mit meiner Gastschwester Sammy verstanden habe. Sie war von Beginn an sehr offen mir gegenüber und hat mir viel erzählt und erklärt.
Am Tag darauf ging es für mich schon mit dem Arbeiten los.
Schülerin in Tracht vor dem Schulgebäude |
Mein Arbeitsplatz, die Schule „Inti Raymi“, ist für Kinder von dem Kindergarten bis zur 10. Klasse. Sie wird von etwa 130 Schüler*innen besucht. Um die Kultur der Saraguros zu erhalten, wird großen Wert auf Interkulturalität gelegt. Feste und Traditionen werden in den Schulalltag integriert. So tragen die Kinder zum Beispiel keine Schuluniform, sondern die hier typische Tracht. Außerdem ist die Schule bilingual. Die Kinder und Lehrer*innen sprechen also sowohl Spanisch als auch Kichwa. Allerdings ist der Anteil vom Spanischen viel größer und alle Fächer (außer Kichwa) sind auch auf Spanisch.
Die Schule liegt praktischerweise direkt neben meinem Haus,
sodass ich weniger als eine Minute brauche, um hinzulaufen. Da mein erster
Arbeitstag auch der erste Tag nach den Ferien war, versammelten sich Eltern,
Schüler*innen und Lehrer*innen am Montagmorgen auf dem Schulhof. Dort wurden alle auf Spanisch und
Kichwa vom Schulleiter begrüßt. Ich durfte dann auch spontan ans Mikrofon und
habe mich kurz auf Spanisch vorgestellt. In diesem Jahr bin ich die einzige Freiwillige an der Schule,
wobei in den letzten Jahren schon mehrmals deutsche Freiwillige ihren Freiwilligendienst an dieser Schule gemacht haben.
Dann ging es mit dem Unterricht los und ich wurde ebenfalls
ganz spontan vor eine Klasse aus 13 Kindern gestellt, mit denen ich dann
bestimmte Aufgaben erledigen sollte. Eigentlich besteht meine Aufgabe an der
Schule aus der Unterstützung der Lehrkräfte und nicht aus dem Unterrichten einer Klasse, wodurch ich kurz ein bisschen überfordert war.
Insgesamt hat es dann aber gut geklappt und die Lehrerin, die mich hier
betreut, hat mir geholfen.
Nach der Schule war ich dann bei einer Besprechung mit allen Lehrer*innen. Nachdem
jede*r mich mit sehr lieben und offenen Worten begrüßt hatte, ging es dann mit
der Planung für die nächsten Wochen los. Dabei habe ich fast nichts verstanden,
weil alle so schnell redeten. Netterweise „übersetzte“ einer der Lehrer das
Wichtigste für mich von „schnellem Spanisch“ in „langsames, einfaches
Spanisch“, sodass ich dann doch ein bisschen was mitbekommen habe.
Ich will hier ja möglichst authentisch berichten, daher gehören natürlich neben den tollen und spannenden Erlebnissen auch die schwierigen Momente dazu und davon gab es in den ersten zwei Tagen viele.
Es prasselten ganz viele neue Eindrücke auf mich ein und ich musste erst einmal
alles beobachten und einordnen.
Ich hatte das Gefühl, von der Sprache kaum etwas zu verstehen, weil die Leute
so schnell reden und mir viele Vokabeln fehlen. Außerdem habe ich weder die
Abläufe in der Schule, noch bei mir in der Gastfamilie verstanden und ich
wusste nicht, was ich wann machen soll oder was von mir erwartet wird. Mir war
die ganze Zeit kalt und das Familienleben war anders, als ich es von zu Hause
kenne. Ich kämpfte an meinem zweiten Abend hier mit Heimweh, denn ich realisierte,
dass ich jetzt tatsächlich da angekommen bin, wo ich ein Jahr sein werde. Diese
Dimension hat mir in diesem Moment irgendwie Angst gemacht, obwohl ich keinen
spezifischen Grund oder Auslöser hatte.
Dass am Anfang viele Dinge „anders“ oder „fremd“ erscheinen
ist ja auch ganz normal. Das wäre in jeder Familie so, egal ob in Deutschland,
Ecuador oder überall anders auf der Welt. Mir war klar, dass ich Zeit brauchen
werde und dass alles "poco a poco" (Stück für Stück) besser werden wird.
Mein Zimmer |
Außerdem gab es aber auch in den ersten zwei Tagen viele Sachen, für die ich
dankbar sein konnte. Mein Zimmer hier ist wirklich schön und ich habe alles,
was ich brauche. Das Wlan ist gut, sodass der Kontakt nach Hause problemlos
funktioniert. Außerdem liebe ich die ruhige Atmosphäre hier ums Haus. Ich bin
oft draußen bei den Hunden und genieße Gespräche mit meinen Gasteltern und den
Lehrer*innen, die mir gegenüber alle sehr offen sind.
Weg vom Stadtzentrum zu unserem Haus |
Ich habe mich schon ein bisschen mehr daran gewöhnt, dass die Leute so schnell
reden und versuche immer zu kommunizieren, wenn ich etwas nicht verstehe. So
klappt es mit Unterhaltungen schon viel besser. Die Schüler*innen und
Lehrer*innen an der Schule sind wirklich total lieb und mir macht die Arbeit in
der Schule Spaß, obwohl ich manchmal ein bisschen planlos oder überfordert
war. Nächste Woche wird alles ein bisschen mehr Struktur haben, da ab dann
die richtigen Stundenpläne gelten. Dann werde ich auch immer mit einer Lehrkraft vor der
Klasse stehen.
Blick von unserem Haus aus |
Was ich außerdem absolut genieße, ist das Leben auf dem Land. Ich habe mit meiner Gastschwester zusammen Käse aus der Milch gemacht, die von den Kühen der Familie stammt. Mein Gastvater hat mir außerdem gezeigt, wie ein Zuckerrohr aussieht und ich durfte die süße Flüssigkeit aus dem Rohr probieren. Mein Highlight war, dass ich gestern mit meiner Gastschwester für etwa 15 Minuten einen kleinen Ausritt mit den Pferden der Familie machen konnte. Zudem ist die Landschaft hier einfach absolut traumhaft. Besonders bei Sonne gibt es hier so schöne Ausblicke und mein Lieblingsplatz ist die Hängematte vor dem Haus, während der eine Hund auf meinem Schoß liegt.
Blick vom Landstück der Familie |
In der Familie merke ich, wie meine Gastbrüder, die am Anfang noch etwas verhalten waren, immer entspannter werden und auch mit meinem Gastvater verstehe ich mich immer besser.
Parque Central |
Nachdem ich mich jetzt erst einmal mehr oder weniger von einer
Erkältung erholt habe, schaue ich mich mal ein bisschen nach Hobbys um. Ich
werde verschiedene Dinge ausprobieren und gehe am Montag mit meiner
Gastschwester zu einer Tanzgruppe. Mal sehen, wie das wird.
Außerdem sind seit gestern zwei französische Freiwillige in Saraguro, die in einer anderen Einrichtung für Kinder arbeiten werden. Mit denen werde ich mich auch auf alle Fälle noch treffen.
In den kommenden Blogeinträgen werde ich nochmals genauer auf
meine Arbeit in der Schule und auch auf das Leben in der Gastfamilie eingehen.
Das waren jetzt aber schon einmal meine ersten Eindrücke von hier. Es wird
immer Höhen und Tiefen geben und bestimmt werde ich noch das ein oder andere
Mal, das Gefühl haben, nicht richtig hier hinzugehören oder meine Familie und Freundesgruppe vermissen. Das gehört aber irgendwie auch dazu und in der ersten Woche haben
auf jeden Fall die positiven Erlebnisse überwogen.
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