H A L B Z E I T
Hallo,
ich melde mich dieses Mal zur Halbzeit meines Freiwilligendiensts. Sechs Monate sind vergangen und sechs Monate stehen noch an.
Ende Januar und Anfang Februar waren stark von den Wahlen geprägt, die am 5. Februar stattfanden. In ganz Ecuador wurden neue Bürgermeister*innen gewählt. Außerdem wurde gleichzeitig auch eine Volksbefragung der aktuellen Regierung durchgeführt.
Abgesehen von Plakaten, die in ganz Saraguro zu sehen waren, gab es auch Autos, die mit lauter Musik und Fahnen durch die Straßen fuhren oder Autokolonnen und Versammlungen, auf denen für die verschiedenen Kandidat*innen und Parteien geworben wurde. Außerdem hingen an sehr vielen Häusern Fahnen, die für die verschiedenen Parteien stehen. Ich habe den Wahlkampf hier sehr viel ausgeprägter mitbekommen als ich das von Deutschland gewohnt war. Das ist irgendwie schön, gleichzeitig spaltet es natürlich die Menschen vor Ort sehr.
Schlussendlich gewann hier der Kandidat der Partei "Pachakutik". Das Symbol dieser Partei ist eine Regenbogenflagge, was für die Vielfalt der indigenen Kulturen steht.
Nach den Wahlen ging es für mich eine Woche auf mein Zwischenseminar nach Puyo. Bei einem Weltwärts-Freiwilligendienst ist ein Zwischenseminar nach sechs Monaten verpflichtend, um die Möglichkeit zu haben, über das vergangene und kommende halbe Jahr nachzudenken und um bei Problemen oder Schwierigkeiten darüber reden zu können.
Mir hat es sehr gut gefallen und man unterschätzt vorher immer, wie schön es doch ist, sich auf seiner Muttersprache mit Menschen austauschen zu können, die ganz ähnliche Erfahrungen machen und gemacht haben wie man selbst.
Neben den verschiedenen Einheiten, die wir täglich hatten, blieb auch Zeit, um einen Ausflug zu machen. Puyo liegt im Regenwald, weshalb wir eine indigene Comunidad besuchten, bei einem Wasserfall schwimmen waren, zuschauten wie Schokolade hergestellt wird und auf einen Aussichtspunkt gingen.
Eines meiner Highlights war außerdem, dass wir an einem Abend mit allen 15 Teilnehmer*innen des Seminars gekocht haben. Es gab Bratkartoffeln mit Rotkohl und einer Champignonsoße und zum Nachtisch Kaiserschmarrn mit Apfelmus. Ich habe es wirklich so genossen, dieses deutsche Essen zu essen. Und obwohl ich das Essen hier in Ecuador liebe, war es eine sehr angenehme Abwechslung.
Insgesamt war das Zwischenseminar also schön, auch wenn ich mich danach wieder auf Saraguro gefreut habe.
Hier in meiner Gastfamilie haben wir erneut Zuwachs bekommen. Unsere Katze hat sechs Babys bekommen. Außerdem haben wir eine weitere Babykatze und zwei Hundewelpen aufgenommen.
Ansonsten war Karneval hier noch ein sehr großes Thema. Es ist an Karneval neben Umzügen und großen Festen in Ecuador üblich, dass man sich gegenseitig mit Wasser, Schaum, Eiern, Früchten, Blumen, Mehl, Farbe etc. bewirft. Das hat allerdings schon einige Wochen vor Fasching begonnen, sodass man auf dem Weg ins Zentrum immer aufpassen musste, nicht von irgendeinem Hausdach oder aus einem Auto heraus nass gemacht zu werden.
Der eigentliche Karneval begann dann aber für mich als wir am Freitag, den 17.02., mit der Schule feierten. Dazu fuhren wir zu einem abgelegenen Feldstück nahe eines Flusses. Nach einer kurzen Zeremonie mit Blumen und Musik ging es auch schon los. Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern stürzten sich selbst (oder zerrten sich gegenseitig) unter einen Wasserschlauch, der wie eine Dusche aufgehängt war. Danach gab es kein Halten mehr und jede*r Anwesende wurde nicht nur nass, sondern auch mit Mehl oder Farbe eingeschmiert. Zum Essen habe ich mir dann meine Wechselkleidung angezogen, weil mir kalt war - Anfängerfehler. Wenig später kamen nämlich einige Eltern und Lehrer, die mich (und alle anderen auch) auf eine zweite Runde unter den Wasserschlauch zerrten. Auch wenn ich versuchte zu entkommen wurde ich am Ende mit den Worten "Damit du Ecuador in Erinnerung behältst" unter das Wasser getragen.
Samstag und Sonntag verbrachte ich in Guaranda mit einigen Leuten, die ich im Januar auf dem Klimawandeltreffen kennengelernt hatte. Die Stadt Guaranda ist etwa neun Stunden von hier entfernt und für ihre Karnevalsfeste bekannt.
Tatsächlich war die ganze Stadt im Ausnahmezustand, da man wirklich nirgends vor Wasser und Schaum sicher war. Nach unserer Ankunft hatten wir erst einmal das kurze Problem, dass wir noch kein Hostal hatten. Zuerst wollten wir bei Freunden von jemandem aus der Gruppe schlafen, aber das war dann kurzfristig doch nicht möglich.
Nach einer mehrstündigen Suche fanden wir schließlich ein Hostal, das ein Zimmer frei hatte und nicht zu teuer war.
Abends gingen wir dann auf ein Konzert. Wir tanzten im Nieselregen zu der Musik und versuchten nicht allzu viel von dem Schaum abzubekommen, der überall herumgesprüht wurde.
Danach kauften wir uns noch Essen bei den zahlreichen Straßenständen und liefen durch Guaranda. Auf einer Straße spielte eine Band Musik und wir tanzten dort weiter.
Zum Schluss gingen wir noch in einen Club und danach dann ins Hostal, um zu schlafen.
Am nächsten Morgen ging es nach einem "Frühstück" um 12 Uhr nochmals ins Zentrum Guarandas, wo wir einen großen Faschingsumzug anschauten. Es gab verschiedene Tanzvorstellungen, Musik und wieder ganz viel Schaum und Wasser.
Nachmittags bin ich auch schon wieder nach Saraguro gefahren. Dort feierte ich dann am Dienstag noch mit meiner Gastfamilie und einigen Verwandten Karneval auf dem Grundstück der Großeltern. Zuerst aßen wir zusammen und später ging es dann los mit dem Karneval. Es begann alles harmlos mit dem gegenseitigen Nassmachen mit Wassereimern. Später nahmen mich aber mein Gastvater und Gastbruder mit zu einem Tümpel, der auf der Kuhweide war und sehr braunes Wasser hatte. Dort wurden dann alle nacheinander hingebracht und nass gemacht. Das war eine sehr lustige Erfahrung und es war schön, das alles mit den Verwandten meiner Gastfamilie zu erleben. Nachdem sich alle mit dem eiskalten Wasser aus dem Gartenschlauch abgewaschen, getrocknet und umgezogen hatten wurde noch Kaffee getrunken und Brot gegessen.
Generell ist hier in Saraguro in meinem Alltag nicht so arg viel Spannendes passiert. Ich bin weiterhin froh, hier zu leben, weil mich die Landschaft immer wieder begeistert und ich mich wohl bei meiner Gastfamilie fühle. Außerdem macht es mir im Moment sehr viel Spaß, abends "voley" zu spielen und ich freue mich, dass ich immer mehr Leute kenne und mich mit vielen inzwischen ganz gut verstehe.
Auch in der Schule haben mir die fast zwei Monate, in denen ich Englisch unterrichtete, viel Spaß gemacht. Jetzt ist die Englischlehrerin, die ich vertreten hatte, wieder da und ich arbeite wieder in den drei Klassenstufen, wo ich auch zu Beginn des Jahres schon ausgeholfen hatte.
Eine Halbjahresbilanz zu ziehen ist irgendwie schwierig. Ich habe schon einen Absatz dazu geschrieben gehabt, den ich wieder gelöscht habe, weil es irgendwie nicht so leicht zu verallgemeinern oder zusammenzufassen ist, deswegen nur so viel:
Es gibt Momente, in denen ich voller Begeisterung, Freude und Interesse auf dieses Land, die Kultur und mein Leben hier schaue. In diesen Momenten kann ich es mir kaum vorstellen, in sechs Monaten wieder von hier zu gehen und ich merke, wie sehr ich mich an das Leben hier gewöhnt habe und wie viel mir an einigen Dingen hier liegt.
Es gibt aber auch Momente, in denen mein Kopf voller Unverständnis und Fragezeichen ist, wenn ich eine Situation erlebe, die ich nicht verstehe, anders erwartet habe oder in der ich mich missverstanden fühle. In diesen Momenten wird mir klar, dass ich hier doch manchmal nur Ausländerin bin, die nicht alles einordnen kann.
Es überwiegen auf alle Fälle die erstgenannten Momente. Dennoch gibt es von beiden immer mal wieder was. Mal geht die Zeit schnell um, mal langsam. Mal wünschte ich mir, hier zu leben, mal freue ich mich, bald wieder in Deutschland zu sein.
Es ist eine ständige Ambivalenz und das ist auch ganz normal und völlig okay so.
Ich blicke aber sehr positiv auf die nächsten sechs Monate, weil ich gespannt bin, was ich noch alles erleben werde und auch, weil die negativen Momente mit dem Vergehen von mehr Zeit immer mehr von den positiven vertrieben werden.
Und ich weiß nicht einmal, ob ich die Momente "positiv" und "negativ" nennen kann, weil ich von beiden lerne und profitiere.
Vielleicht wäre es besser "leichte" und "schwere" Momente zu sagen. Oder "einfache" und "komplizierte".....
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