Heute melde ich mich mal wieder, um
euch ein bisschen von meinen letzten Wochen zu erzählen. Nachdem ich (wie im letzten Blogartikel berichtet)
das neue Jahr an der Küste eingeleitet hatte, begann mein Januar in Saraguro erst
einmal mit einem Fest. Am 6. Januar wurde nämlich „Tres Reyes“ (Dreikönig)
gefeiert.
Es gab eine große Prozession im Zentrum Saraguros, wo die Figuren, die auch an Weihnachten tanzten, ein letztes Mal aufgetreten und mitgelaufen sind. Es hat sich angefühlt, als würde nochmals Weihnachten gefeiert werden. Die Prozession zog auch wieder zum Haus des markan taytas (Organisator des Festes), wo es dann Essen und Trinken für alle gab. Außerdem tanzte jede Figur ein letztes Mal, um dann danach feierlich ihre Maske vor den Organisator*innen abzulegen und ihnen zum Dank ein Teil ihres Kostüms oder ein kleines Geschenk dazulassen. Dieser Moment war für einige recht emotional, weil durch das Ablegen der Masken die eigentliche Identität des Menschen enthüllt ist. Somit ist die Identität der Figur abgelegt, was symbolisch auch das Ende der Weihnachtszeit darstellt.
In der Schule ändern sich meine Aufgaben ständig, weil ich immer dort helfe, wo es gerade am meisten gebraucht wird. Dadurch bleibt es immer abwechslungsreich für mich.
In meiner ersten Zeit hier stand ich aufgrund einer fehlenden Lehrperson allein vor der Klasse und hielt die Unterrichtsstunde, die die anderen Lehrer*innen vorbereitet hatten. Als dann der fehlende Lehrer an die Schule kam, war es meine Aufgabe, mich um drei Schüler*innen zu kümmern, die besonders große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hatten und daher viel Zeit und Aufmerksamkeit brauchen. Dazu kam der Plan, dass ich auch den Sportunterricht von drei Klassen übernehmen könnte.
Seit Ende Dezember ist meine Aufgabe aber die Vertretung der Englischlehrerin, die aktuell in Mutterschutz ist. Ich werde also etwa zwei Monate lang mit einer anderen Lehrerin (die aber kein Englisch kann) zusammen den Englischunterricht für neun Klassenstufen durchführen. Zuerst war ich nicht so begeistert von der Aufgabe, weil es deutlich mehr Arbeit und Vorbereitung für mich bedeutet, aber inzwischen freue ich mich, fast alle Schüler*innen dadurch kennenzulernen und selbst vor der Klasse zu stehen.
In der Gastfamilie geht es mir weiterhin gut und auch wenn sich mein Spanisch stetig verbessert, sorgt mein Alltag immer wieder für Überraschungen, die zeigen, dass es manchmal schon noch an meinem Spanisch hapert. So habe ich nach drei Monaten kalt duschen zufällig von meiner Gastschwester gehört, dass unsere Dusche auch warmes und sogar heißes Wasser hat. Oder ich habe zwei Monate nach dem vermeintlich 18. Geburtstag meines Gastbruders verstanden, dass er eigentlich erst 17 wurde.
Wie ich auch schon einmal in meinem "Drei-Monats-Update" erwähnt habe, ist es gar nicht so leicht, Leute im gleichen Alter wirklich kennenzulernen und Freundschaften aufzubauen.
Es wird aber zumindest einfacher, weil ich inzwischen schon ein paar Leute wenigstens ein bisschen kenne und auch besser auf Spanisch kommunizieren kann als am Anfang.
Vor kurzem habe ich zufällig entdeckt, dass ich in der Nähe meines Hauses hier regelmäßig junge Leute treffen, um Voley zu spielen. Das ist eine Art Volleyball, allerdings wird drei gegen drei mit einem Fußball auf ein 2,85m hohes Netz gespielt. Ich habe mich sehr gefreut, weil ich ja in Deutschland lange Volleyball gespielt habe. Deswegen habe ich gleich mal gefragt, ob ich mitspielen kann. Seitdem war ich jetzt noch ein paar Mal dabei und habe auch schon drei Male bei einem Turnier in einer Frauenmannschaft hier in der Nähe mitgespielt.
Bisher habe ich zwar noch nicht so viel mit einzelnen Menschen von dort zu tun gehabt, trotzdem ist es eine gute Möglichkeit, um junge Leute hier aus der Umgebung kennenzulernen.
Anfang Januar ging ich relativ spontan mit zwei anderen Frauen aus Saraguro zu einem Event nach Cuenca. Es trug den Namen "III Encuentro Contintental por el Agua y Crisis Climática", also "3. kontinentales Treffen zu den Themen Wasser und Klimakrise".
Es ist nicht so leicht, die lokale Problematik in wenigen Sätzen zusammenzufassen, aber ich versuche es mal:
In Ecuador gibt es, neben den bereits spürbaren Folgen des Klimawandels und den damit verbundenen Naturkatastrophen, das große Problem der Minenindustrie. Das bedeutet, dass (zum größten Teil) ausländische Firmen hier in Ecuador Minen errichten, um an verschiedenste Bodenschätze zu gelangen. Eine Folge davon ist die massive Zerstörung der Landschaft und Natur an dem Ort, wo die Mine gebaut wird. Außerdem müssen oft (indigene) Dörfer umgesiedelt werden, ohne Rücksicht darauf, dass dieses Land schon seit Jahrhunderten von diesen Menschen bewohnt wird. Dazu kommt, dass die Bodenschätze in den Minen durch giftige Stoffe aus der Erde geholt werden. Dadurch wird das Wasser so stark verschmutzt, dass oft mehrere Städte und riesige Gebiete betroffen sind. Diese Wasserverschmutzung hat nicht nur gesundheitliche Folgen für alle Menschen in diesen Regionen, sondern nimmt einem Großteil auch ihre Lebensgrundlage. Sehr viele Menschen leben nämlich von der Landwirtschaft und können nicht mehr arbeiten, wenn ihre Tiere von dem verschmutzten Wasser krank werden oder sterben. Am Ende leidet meist die indigene Bevölkerung oder die arme Landbevölkerung darunter. Jetzt könnte man natürlich hoffen, dass die Profite, die der Staat mit der Minenindustrie macht, bei den Leuten ankommen und für die Lösung (sozialer) Probleme eingesetzt werden. Im Gespräch mit einigen Menschen bei dem Treffen und auch schon davor wurde mir aber gesagt, dass wenig bis gar nichts bei der Bevölkerung ankommt und dass die meisten Profite nur in der Schicht der mächtigsten und reichsten Menschen bleiben.
Das Treffen war in drei Tage aufgegliedert.
Tag 1 begann mit einer Einführungszeremonie im zentralen Park Cuencas. Danach hörten wir Vorträge und Gesprächsrunden zu verschiedenen Themen wie den Rechten der Natur und ihrer Beschützer*innen, der Ausbeutung und Minenindustrie oder dem Kampf zum Schutz des Wassers.
Die dazu eingeladenen Referent*innen kamen aus Ecuador, Kolumbien, Guatemala, Brasilien oder aus den Vereinigten Staaten. Ich verstand zwar nicht alles, aber schon das Meiste und war nach dem ersten Tag müde aber doch recht beeindruckt von den Erfahrungen und Sichtweisen der Referent*innen.
Am Abend waren alle Teilnehmenden zu einem Konzert in einer Bar eingeladen. Dort spielten drei Bands, die auf Kichwa (und Spanisch) sangen oder rappten. Das war sehr eindrucksvoll und auch wenn ich nur die spanischen Teile ein wenig verstanden habe, war es mitreißend, sodass wir viel tanzten. Was mir auch gefallen hat, war, dass die Texte (die ich verstand) politischen Hintergrund hatten. Sätze wie "El Kichwa es resistencia" (Kichwa ist Widerstand) zeigen, dass für die Artist*innen ihre Musik mehr als nur ein Hobby oder Beruf ist, sondern auch Teil ihrer Identität und Teil des Kampfes zur Auslebung dieser Identität ist.
Hier sind zwei Links, falls ihr Lust habt mal in die Musik reinzuhören.
Das Lied vom zweiten Link ist über die aktuelle Lage in Peru, von der ihr bestimmt auch mitbekommen habt.
Runa Rap "Paywan": https://www.youtube.com/watch?v=6mqIs163fFQ
Liberato Kani "Tukuy Llaqtakuna Hatarisunchik": https://www.youtube.com/watch?v=Nhhfe9PXvqg
Am zweiten Tag ging es ein wenig mehr um den persönlichen Austausch untereinander. Nach einigen Gruppenspielen zum Aufwärmen teilten wir uns in kleinere Gruppen auf, um über die Probleme in der jeweiligen Heimatregion zu reden. Natürlich war ich generell eher Zuhörerin, weil es ja bei dem Kongress primär um die Probleme der Menschen hier vor Ort ging.
Der Austausch war spannend und erschreckend zugleich. Die Menschen, mit denen ich geredet habe, kommen aus den verschiedensten Regionen Ecuadors oder Lateinamerikas und alle von ihnen sind Zeugen von der Zerstörung der Natur in großem Ausmaße.
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"Wasser ist mehr wert als Gold" "Mehr als 3 Jahrzehnte in der Verteidigung des Wassers" "Kimsakocha frei von der Minenindustrie" |
Tag drei verbrachten wir in einer Comunidad in der Nähe Cuencas, die einen starken (und bisher erfolgreichen) Widerstand gegen eine Firma der Minenindustrie betreibt (siehe Wandbemalung).
Dort pflanzte jeder Teilnehmende einen Baum.
Das Treffen wurde dann bei einem Fest beendet, bei dem man Essen und andere Produkte kaufen konnte.
Außerdem gab es Live-Musik und verschiedene Tanzvorstellungen.
Insgesamt wurde mir auf dem Treffen einiges bewusster, auch wenn ich das Gefühl habe, noch lange nicht vollständig die Problematik verstehen zu können, der viele Menschen hier ausgesetzt sind. Und trotz dieser großen Probleme war es beeindruckend zu sehen, wie alle Menschen sich zusammentun und etwas genau dagegen tun wollen. Generell gibt es hier im Land recht starke (überwiegend indigene) Widerstandsbewegungen gegen die Minenindustrie und die Ausbeutung (indigener) Territorien und der Natur. Und auch die Kraft und Ausdauer der Menschen bei dem Treffen gibt Hoffnung in diesem langen Weg zu mehr Gerechtigkeit.
Ich habe auch das Gefühl, dass hier zumindest unter der indigenen Bevölkerung ein recht starkes Bewusstsein für den Schutz der Umwelt und ihrer Territorien vorhanden ist. Das liegt natürlich auch daran, dass die Bedrohung durch die Minenindustrie und die Auswirkung des Klimawandels viel unmittelbarer sind und dass sie eine viel stärkere Verbindung zu ihrem Wohnort haben, weil viele Familien hier wirklich schon seit Jahrhunderten auf diesem Stück Land leben. Das ist aber nur eine Beobachtung beziehungsweise eine Schlussfolgerung, die ich für mich gezogen habe. Mag sein, dass die Realität anders aussieht, vor allem weil ich auch ein verzerrtes Bild habe, da ich überwiegend mit indigenen Menschen zu tun habe, die auch oft politisch recht aktiv sind.
Am Ende eines solchen Treffens fragt man sich schon immer, wieviel das jetzt eigentlich gebracht hat oder was genau jetzt anders sein soll. Es ist aber sicherlich sinnvoll, einen solchen Raum für Austausch zu schaffen und für mich hat es sich auf alle Fälle gelohnt.
Bei dem Treffen lernte ich einige junge Leute kennen, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe. Einige von ihnen sprachen Kichwa flüssig und erklärten mir viel über ihre Kultur. Ich habe das Gefühl, dadurch nochmals mehr über das Leben als indigene Person gelernt zu haben. Auch wenn Indigene mit vielen Problemen zu den Themen Umwelt, Diskriminierung und Repräsentation zu kämpfen haben, ist es unfassbar beeindruckend den Stolz zu spüren, den sie haben, wenn sie über ihre Wurzeln oder ihre Kultur reden. Diesen Stolz bin ich aus Deutschland viel weniger gewohnt und die Begeisterung und das Wissen, das die Leute hier über ihre Kultur haben, hat mich auch über meine eigene Herkunft beziehungsweise über meine eigene Identität nachdenken lassen.
Nach dem Treffen blieben wir noch einen Tag in Cuenca, an dem ich mit den Leuten die ich kennengelernt habe und einer Freundin aus Saraguro (mit der ich beim Treffen war) das "Pumapungo" Museum besucht habe. Zwei Personen aus unserer Gruppe haben Geschichte studiert, sodass sie uns eine individuelle Tour durch die Inka-Ruinen geben konnten. Auch wenn mich solche Museen nicht immer begeistern, war ich dieses Mal echt fasziniert von dem, was die beiden uns erzählten.
Mitte Januar kam mich meine Freundin Hannah, die noch ein wenig herumgereist war, nochmals für etwa eine Woche besuchen. Wir verbrachten wieder eine sehr schöne Zeit miteinander, in der wir zum Beispiel einen Ausflug zu einer Lagune machten, wo wir picknickten, Musik hörten und baden gingen.
Außerdem liefen wir einen Berg in der Nähe des Hauses meiner Gastfamilie hoch, um die schöne Aussicht zu bewundern.
An einem anderen Tag gingen wir auf den Glockenturm der zentralen Kirche hier in Saraguro, wo wir den Ausblick mit Tortillas und guter Musik genossen.
Außerdem begleitete mich Hannah aber auch bei meiner Arbeit in der Schule.
Auch wenn ich mich hier in Saraguro nicht einsam fühle, habe ich gemerkt, wie gut es tat, jemanden hier zu haben, der einem so nahe steht. Dementsprechend war der Abschied auch recht traurig, vor allem mit dem Wissen, sich jetzt nach so langer gemeinsamer Zeit sieben Monate nicht zu sehen. Dennoch bin ich unfassbar dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir hier zusammen hatten.
Nach den fünf Monaten in Ecuador bin ich weiterhin erstaunt, wie schnell die Zeit vergeht. Der
Alltag fällt mir immer leichter, weil ich die Menschen, mit denen ich arbeite,
immer besser kenne und sich alles ein bisschen eingespielt hat. Zudem
erleichtern meine stetig wachsenden Sprachkenntnisse das Klarkommen auch in
neuen Situationen enorm. Natürlich gibt es immer noch ständig neue, ungewohnte,
manchmal auch unangenehme Situationen, aber insgesamt wird das weniger. Ich
fühle mich immer wohler hier und merke langsam, wie schwer der Abschied am Ende werden wird. Trotzdem ist es aber auch schön, daran zu denken, alle meine
Verwandten und Freund*innen in Deutschland nach meinem Freiwilligendienst wiederzusehen.
Irgendwie ist es ein ständiger Zwiespalt und ich denke, es gehört zum
Freiwilligendienst dazu, zu lernen, damit umzugehen. Außerdem bin ich auch
dankbar für diesen Zwiespalt, weil er ja zeigt, wie gut es mir hier geht.
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