Drei-Monats-Update

 Ja...tatsächlich habe ich mich jetzt schon wieder einen Monat lang nicht gemeldet. 
Irgendwie total surreal. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit hier einfach eine andere Geschwindigkeit hat. Es ist nicht einmal so, dass es sich immer so schnell anfühlt...einfach anders. 

Im letzten Monat war wieder einiges los.

Am 3.11. war der Tag der Unabhängigkeit von Cuenca. In der Stadt fanden mehrere Tage lang große Feste statt und ich fuhr für einige Tage nach Cuenca, da diese Tage hier Feiertage waren. 
Dort traf ich viele andere Freiwillige und wir gingen zusammen zu Konzerten, schauten uns die verschiedenen Shows und Stände auf den Straßen an, aßen gutes Essen und genossen die Zeit.

Insgesamt waren es sehr gute Tage mit vielen schönen Momenten.

Hier in Saraguro war ich an einem Wochenende in einer Gemeinde, die etwa eine halbe Stunde von hier entfernt ist. Dort waren wir in einer Kirche, die wunderschön bemalt war. 

Auf dem einen Bild wurde das Element Feuer dargestellt. In der andinen Kosmovision spielen die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde eine wichtige Rolle. Abgebildet sind Saraguros in ihrer typischen Kleidung. Bei den Figuren auf der Zeichnung haben sich die Maler Menschen als Orientierung genommen, die sie im Zentrum Saraguros fotografiert haben. 


Auf einem anderen Bild wurde das Element Erde dargestellt. Im Hintergrund sieht man die Gemeinde Gera, in der die Kirche steht und den Ausblick in die Berglandschaft, den man von Gera aus hat. Die Hände, die gerade eine Pflanze einpflanzen, stellen die Pachamama dar. Die Pachamama ist die Mutter Erde, die hier als eine Göttin angesehen wird. Sie ist die Schöpferin der Lebewesen und der Natur und hat eine sehr hohe Bedeutung in der Kultur hier. So lernen auch die Kinder beispielsweise in der Schule, dass sie vor dem Baden in einem Fluss die Pachamama um Erlaubnis bitten sollen. Ich war zuerst ein bisschen überrascht darüber, aber fand es dann unfassbar schön, so achtsam mit der Natur umzugehen, die durch die Pachamama personalisiert wird. 

Saraguro am Abend


In der Schule hat sich meine Aufgabe ein bisschen verändert. Bisher gab es ja nur zwei Lehrer*innen für drei Klassen, weshalb ich ja immer für eine Klasse zuständig war, mit der ich dann die Aufgaben gemacht habe, die die Lehrer*innen vorbereitet hatten.

Blick vom Schulhof aus

Jetzt ist ein neuer Lehrer an die Schule gekommen, sodass jede Klasse immer betreut ist. Im Moment sind wir ein bisschen am Ausprobieren, wie ich wo am besten unterstützen kann. Bisher ist die Idee, dass ich den Schüler*innen helfe, die besonders große Schwierigkeiten in der Schule haben. Es gibt etwa drei Schüler*innen, die wirklich fast durchgehend Unterstützung bräuchten, allerdings haben die Lehrer*innen verständlicherweise keine Zeit dazu, weil sie ja die ganze Klasse fördern wollen. Daher finde ich es eigentlich eine ganz gute Idee, dass ich dann speziell diese Kinder unterstütze, vor allem weil ich dabei merke, dass sie durchaus in der Lage sind, die Aufgaben gut zu lösen und einfach etwas mehr Zeit und Hilfe brauchen.
Außerdem hatten wir überlegt, dass ich gegebenenfalls den Sportunterricht der drei Klassenstufen übernehme. Das fände ich eine gute Idee, weil ich glaube, dass mir das Spaß machen würde. Bisher habe ich auch schon immer mal wieder Spiele im Sportunterricht vorbereitet und das hat auch ganz gut geklappt. Mal sehen, wie es sich in den nächsten Wochen weiterentwickelt.



Immer wieder gibt es in der Schule besondere Tage oder Projekte.

Am 2.11. war beispielsweise der "Día de los Difuntos" (Tag der Verstorbenen). Dieser Tag ist vielen besser als "Día de los Muertos" in Mexico bekannt, allerdings ist die Tradition hier anders. 

Schon vorher bastelten wir in der Schule "Coronas" (Kronen), die die Kinder dann am 2.11. an das Grab ihrer Verwandten oder Bekannten legen können. 

Außerdem wurde mir erklärt, dass es hier typisch ist an diesem Tag "wawas de pan" und colada morada zuzubereiten. 

"Wawa" ist kichwa und bedeutet Baby oder Kind. Es ist eines der Wörter auf kichwa, die in Ecuador an vielen Orten in die spanische "Alltagssprache" integriert sind.  "Wawas de pan", also "Babys aus Brot", sind Figuren aus einem süßen Teig, die am 2.11. verschenkt, geteilt und gegessen werden. 

Colada Morada ist ein typisches Getränk, das aus schwarzem Maismehl und verschiedenen Früchten hergestellt wird. Außerdem werden einige Gewürze wie Zimt oder Nelken dazugegeben, sodass das Ganze zu einem eher dickflüssigen, violetten Getränk wird, das sehr lecker schmeckt und mich durch die Gewürze an Weihnachten erinnerte.

Am 1.11. haben wir mit allen Schüler*innen und einigen Eltern zusammen "wawas de pan" im Lehmofen der Schule gebacken. Dafür haben die Kinder auf einem großen Tisch erst den Teig geknetet und danach die Figuren geformt. Typisch sind Menschen oder Pferde, allerdings kann man beim Formen seiner Kreativität freien Lauf lassen.

Außerdem haben wir einen riesigen Topf mit Colada Morada für alle zubereitet.

Backen von Empanadas aus dem restlichen Teig

Für mich war der Tag total schön, auch weil ich mich gut mit einigen Eltern unterhalten habe und das Gebäck wirklich unfassbar lecker war. 
Den eigentlichen "Día de los Difuntos" haben wir in der Gastfamilie  allerdings nicht groß gefeiert, weil alle etwas beschäftigt waren und es auch ein normaler Arbeitstag für die meisten war.  





Einen anderen schönen Tag verbrachte ich bei der "Minga" der Schule. Eine "Minga" ist eine Art Arbeitseinsatz. Mingas können von Schulen, Privatpersonen oder oftmals auch von der Gemeinde ausgerufen werden, wenn irgendwo Bedarf besteht oder Hilfe gebraucht wird. Dann kommen ganz viele Freiwillige zusammen, die dann gemeinsam für einige Stunden oder auch einen Tag ein Projekt angehen. 

Die Minga der Schule war auf dem schuleigenen Feldstück. Unsere Aufgabe war es, das Mais- und Bohnenfeld zu jäten. Sehr viele Eltern sind gekommen, sodass dann Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam mitanpackten. So ging es am Ende schneller als gedacht und trotz der Anstrengung war es toll, das Ergebnis zu sehen, das nur durch die Mithilfe jeder einzelnen Person in dieser Zeit möglich war.

Vom 17.11. - 18.11. ging ich mit 25 Kindern, drei anderen Lehrer*innen und zwei Müttern auf einen Campingausflug von der Schule. Es war das erste Mal, dass ich ohne Wasser - oder Stromanschluss campen war.
Am 17.11. kamen wir morgens an und begannen unsere Exkursion mit einem Ritual, bei dem wir uns bei der Pachamama dafür bedankten, dass wir zwei Tage im Einklang mit der Natur leben dürfen. 
Die Früchte sind dabei in Kreuzform angeordnet. Dieses Kreuz ist die "Chakana" (das Andenkreuz).
Auch hier spiegeln sich in den vier Richtungen erneut die vier Elemente (Feuer, Wasser, Luft, Erde) wider. 



Nach dem Ritual wurden dann die Zelte aufgebaut und wir gingen erst einmal Wasser an einem nahegelegenen Bach holen. Mittags aßen alle ihr selbst mitgebrachtes Essen. Daraufhin machten wir einen kleinen Spaziergang und spielten Fußball oder Kartenspiele. Zwischendurch machten wir laut die typische Musik der Saraguros an und tanzten mit einigen Schüler*innen dazu. 


Insgesamt war es ein sehr schöner Nachmittag, den wir mit einem guten Abendessen ausklingen ließen, das die zwei Mütter auf einem Feuer zubereiteten. Abends saßen wir dann noch am Lagerfeuer bei unserer "noche cultural" (Nacht der Kultur). Dabei stellte jede*r ein Lied, einen Witz, ein Rätsel oder etwas Ähnliches vor. Ich spielte zwei Lieder auf der Ukulele, erst ein deutsches und danach noch ein spanisches, bei dem die Kinder auch mitsangen. Das war richtig schön. 



Dann begann es zu regnen und alle zogen sich in ihre Zelte zurück. Es regnete fast die ganze Nacht durch und die meisten Zelte waren kaum regendicht, wodurch die Wände recht schnell durchnässten und sich am Rand der Zelte Wasser auf den Böden bildete. 
Ich war mit zwei Schülerinnen in einem Zelt und war trotz der Nässe warm in meiner Decke eingekuschelt und schon fast am Schlafen, als das eine Mädchen begann, den Reißverschluss unserer Tür zu öffnen, um zu gucken, was die Schüler in dem Zelt neben uns machten. Dabei ging der Reißverschluss kaputt und wir lagen quasi im Regen, weil unsere Tür einfach komplett offen war. 
Ich ging also wohl oder übel los, um zu schauen, ob wir noch Platz in einem anderen Zelt finden. Als ich zurückkam, um den beiden Mädchen zu sagen, wo wir schlafen können, lagen beide bei offener Zelttür schlafend im prasselnden Regen. Ich weckte sie also, wir nahmen unsere wichtigsten Dinge mit und zogen in andere Zelte um, um dort zu schlafen. 
Die Nacht war in Ordnung. Meine Decke wurde zwar ein wenig feucht, ich wachte ständig auf und ab drei Uhr war es echt kalt, aber dennoch habe ich einige Stunden Schlaf abbekommen.

Der nächste Morgen wurde (wieso auch immer) um fünf Uhr begonnen. So richtig wach waren alle aber erst gegen sechs. Nach einem Spaziergang, ein wenig Frühsport (für die Kinder, die wollten), einem guten Frühstück, dem Abbauen der Zelte, Karten- und Fußballspielen und einem Mittagessen fuhren wir dann zurück nach Hause.
Auch wenn es sehr schade mit dem Regen war, war es ein schöner Ausflug und es war für mich auch mal schön, den Kindern in einem anderen Kontext als im Unterricht zu begegnen. Beim Kartenspielen, Tanzen oder Musik machen habe ich gemerkt, wie man sich besser kennenlernt und wie sich manche Kinder mir auch mehr annäherten, was mich sehr gefreut hat.


Hier in der Gastfamilie gibt es zwei neue Mitglieder. Vor etwa drei Wochen kam die kleine Katze "Killa" auf die Welt. Auf Kichwa bedeutet das so etwas wie "Mond" oder "Göttin des Mondes".
Vor wenigen Tagen konnten wir außerdem beobachten, wie ein Kalb ganz wackelig seine ersten Schritte machte, das eine unserer Kühe gerade erst auf die Welt gebracht hatte. Sein Name ist "Rayo", was auf Spanisch "Blitz" heißt. An diesem Tag habe ich außerdem das erste Mal eine Kuh gemolken und tatsächlich kam Milch aus dem Euter, wenn auch nicht so viel. 



Womit ich in der letzten Zeit manchmal ein bisschen Schwierigkeiten habe, ist mit der Gestaltung meiner Wochenenden und mit dem Aufbauen von Freundschaften hier.
Oft habe ich freie Wochenenden, wo ich dann zum Beispiel meine Gastfamilie frage, was sie bisher geplant hat. Am Wochenende selbst ändern sich die Pläne dann aber nochmals, sodass ich dann entweder ungeplant den ganzen Tag unterwegs bin, obwohl ich dachte, dass ich Zeit hätte, noch andere Dinge zu machen oder sodass ich den ganzen Tag zu Hause bin, ohne so richtig zu wissen, was ich machen soll. 
Generell will ich mich aber gar nicht beschweren, weil es natürlich auch einfach schön ist, freie Wochenenden zu haben und es mir sicher auch gut tut, nicht immer genau zu wissen, was man machen wird. So lerne ich zumindest spontaner und flexibler zu sein. 
Außerdem ist es auch schwierig,  Kontakte zu Gleichaltrigen herzustellen. Die französischen Freiwilligen sind sehr oft beschäftigt und haben nur wenig Zeit. Ab und zu treffe ich mich schon mit Leuten, die ich hier kennengelernt habe, aber das war bisher noch nicht oft.
Mir ist schon klar, dass es normal ist, dass es dauert, Freundschaften zu knüpfen, gerade wenn man in einem anderen Land ist, wo es einfach durch Sprach- und Kulturunterschiede schwieriger fällt, Kontakt aufzubauen. Daher denke ich mal, dass sich das in der nächsten Zeit noch entwickeln wird und ich werde mir da jetzt auch nicht allzu viele Gedanken darüber machen, weil man das einfach nicht erzwingen kann.
Und auch wenn ich nicht ständig Kontakt mit Gleichaltrigen habe, bin ich trotzdem beim Basketballtraining, an der Schule oder in der Gastfamilie viel unter Menschen, sodass es nicht langweilig wird.

Für die nächsten Wochen gibt es sehr gute Neuigkeiten: Hannah, eine meiner besten Freundinnen aus der Schule, wird mich für etwa drei Wochen besuchen kommen. Wir werden zuerst einige Tage in Cuenca sein, wo sie auch am Flughafen ankommt. Dann haben wir eine einwöchige Reise geplant und danach begleitet sie mich noch etwa zwei Wochen in Saraguro bei meiner Arbeit und wird zu dieser Zeit auch mit mir in der Gastfamilie leben. Ich freue mich schon unfassbar darauf und bin auch schon gespannt, was ich danach dann hier zu berichten habe!


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